Ein Gespräch mit der Kostümbildnerin Jessica Karge von Kathrin Kramer
Ihre Frisur ist ungewöhnlich. Oberhalb des Ponys bildet ihr glattes Haar eine Art Bogen,wie ein
kleines Diadem, das ihr eine gewisse Grandezza verleiht. Jessica Karge arbeitet seit zwanzig Jahren
als Kostümbildnerin. Sie hat die Moden auf den Bühnen kommen und gehen sehen. Aber sich selbst
blieb sie treu. Am liebsten sei es ihr eben, die Kleider würden nach ihren Entwürfen eigens für die
Darsteller angefertigt. Wie das crèmefarbene Spitzenkleid von Lady Violet in „Fellinis Schiff der
Träume“. Sie nennt dieses Faible ihre Berufskrankheit und lacht – nicht wirklich bedauernd, dass
sie nicht anders kann. Jessica Karge ist als Gast am Theater Freiburg verantwortlich für die Kostüme
in Uli Jäckles Inszenierung des Filmklassikers, die noch bis zum 24. Juli in der Theaterhalle auf dem
Gantergelände zu sehen sein wird.
Meistens ist die Hauptquelle für die Arbeit der Kostümbildnerin jedoch der Fundus eines Theaters.
Er liefere nicht nur den Stoff, sondern oft auch Ideen. Vorhandenes Material wird verändert, neu
kombiniert, um mit möglichst geringen Mitteln größtmögliche Wirkung zu erzielen. Die Kostüm-
bildnerin sitzt nicht nur buchstäblich an einer Schnittstelle der Produktion, mitten im Koordinaten-
system der verschiedensten Vorgaben. Sie muss die Konzepte von Regisseur und Bühnenbildner mit
den eigenen Kostümideen verbinden, dabei die Bedürfnisse der Schauspieler, die Möglichkeiten der
Werkstätten und den finanziellen Rahmen nicht außer Acht lassen. Das hat Jessica Karge gelernt.
Sie ist im Theater groß geworden. Womöglich war es so ein Moment, als das kleine Mädchen in der
Theaterschneiderei hockte und bewunderte, wie die eigene Mutter, die Schauspielerin Bärbel Bolle
(Deutsches Theater und Volksbühne Berlin), sich während der Anprobe verwandelte, der seine Berufs-
wahl prägte. Inzwischen habe sie beide Eltern „des öfteren angezogen“. Denn auch der Vater,
Manfred Karge, ist Schauspieler und Regisseur (unter anderem am Burgtheater Wien und beim
Berliner Ensemble).
Jessica Karge wühlt gern im Fundus. Vor allem aber schätzt sie das Handwerk, das die Kunst des
Kostümbildens erst möglich macht. Doch wer könne heute noch ein „Justaucorp“ schneidern oder ein
Korsett anfertigen, Kleidungsstücke aus früheren Epochen, da sie für heutige Inszenierungen kaum
noch gefragt sind? „Natürlich sieht keiner, ob das letzte Knopfloch am Hemd mit der Hand oder mit
der Maschine genäht ist“, sagt sie. Aber das Gefühl, das rüberkomme, je mehr Energie – und das
meine sie jetzt wirklich nicht esoterisch – auf die Anfertigung eines Kleidungsstückes verwendet wurde,
sei einfach ein anderes. Die gelernte Schneiderin zieht die Augenbrauen hoch und schürzt die Lippen
ganz leicht, während sie kurz auf ihren Kaffeelöffel voll weißem Milchschaum starrt. Die
„Billigheimer-T-Shirts“ jedenfalls, die spätestens nach Ablauf der Produktion im Müll landen, sind ihr
sowohl künstlerisch als auch ökologisch ein Dorn im Auge.
Sie erlernte das „Damenmaßschneidern“ an der Staatsoper Berlin, 1983 in der DDR die Ausbildungs-
stätte für Theaterschneider, und habe dann zunächst als Kostümassistentin am Burgtheater Wien und
bei den Salzburger Festspielen von für sie wichtigen Lehrmeistern profitiert. Später arbeitete sie am
Akademietheater Wien, am Schauspiel Köln, am Deutschen Theater Berlin, war leitende Kostüm-
bildnerin am Maxim-Gorki-Theater in Berlin und ist inzwischen als Freie Kostümbildnerin viel
auf Reisen.
Jessica Karge macht kein Hehl daraus, dass sie eine Kostümbildnerin alter Schule ist und dass ihr
Berufsbild mehr und mehr verblasst. Die für Kultur zur Verfügung stehenden Gelder sind knapp
und werden, so ihre Erfahrung, mittlerweile eher für Videokünstler und „Lightdesigner“ ausgegeben
als für anspruchsvolle Kostümbilder. Kleine Bühnen könne sich oft keine Kostümbildner mehr leisten
und große engagieren nicht selten Bühnen- und Kostümbildner in einer Person. „Ich bin eben noch
eins dieser Fossile, die nur eine Sache machen.“
Dafür macht sie ihre Sache ganz. Sie kennt sich mit Stoffen, Stilrichtungen, Formen und Farben aus,
weiß, was möglich ist und was welchen Aufwand bedeutet. Sie zeichnet feinsäuberlich mit Stift auf
Papier liebevoll ausgestattete Figurinen, die für sich schon kleine Kunstwerke darstellen. Denn erst
beim Zeichnen entwickeln sich ihre Ideen.
Freiburg hat sich für „Fellinis Schiff der Träume“ eine eigene Kostümbildnerin geleistet. Und
Jessica Karge hatte Glück. Denn Lilith Häßle, die Darstellerin der Miss Violet, war zu hoch gewachsen
für die stilistisch passenden Kostüme aus dem Fundus. Und das crèmefarbene Spitzenkleid ist wirklich
das schönste.