Laufenberg verortet die Handlung zeitnah, zumindest lassen die Soldatenuniformen der Männer und die elegant-schlichten Kleider der Damen auf das 20. oder 21. Jahrhundert schließen. Aber die Zeit spielt eigentlich keine Rolle bei Laufenberg. Er legt den Fokus auf die Emotionen der Figuren und überrascht mit einem gesprochenen Prolog des Jago: Der Sänger Matias Tosi provoziert das vornehme Wiesbadener Premierenpublikum in mit Kernaussagen aus dem Credo des Jago, wie »Die Liebe ist eine Lüge, sie ist Betrug, und Betrug regiert die Welt.« Die Oper beginnt als Jagos Beweis für den perfekten Betrug.
Bühnenbildner Gisbert Jäkel hat auf dem schwarzen Boden große weiße antike Säulen aufgereiht, die kühl und distanziert den Lebensraum Othellos umrahmen. Im ersten Akt ist er noch Kriegsschauplatz, auf dem die Heimkehrer Flaggen mit Halbmond und Stern verbrennen und ihre Lust auf Frauen befriedigen. In den letzten beiden Akten umrahmen sie einen Sitzungssaal und das steril-weiße Schlafgemach. Es gibt viel Raum für die intimen Momente des Dramas. Laufenberg erzählt die Handlung haargenau: Jagos Manipulationen, und die Gewalt gegen Frauen werden schonungslos gezeigt. Othello erwürgt die blutjunge Desdemona tatsächlich in ihrem Bett und ersticht sich kurz darauf – genau wie bei Shakespeare vorgesehen.
Darstellerisch überzeugen alle Sänger in dieser Produktion. Cristina Pasaroiu singt einen ergreifenden letzten Akt. Matias Tosis dämonischer Jago hat eigentlich einen wunderbar lyrischen Bariton und muss das Dämonische mit Kraft erzeugen. Aufhorchen lässt die strahlende Tenorstimme von Aaron Cawley als Cassio und Scott Piper brilliert als sensibler Otello mit erstaunlicher Weichheit und Kraft in der Stimme. Es gelingt ihm, alle Facetten des an sich selbst zweifelnden und vor Eifersucht rasenden Mohren auszudrücken. Ein paar spröde Spitzentöne lässt man ihm da gerne durchgehen.
Leo McFall leuchtet mit dem Hessischen Staatsorchester die atmosphärisch dichte und dramatische Partitur Verdis plastisch und packend aus und ist immer bei den Solisten. Besonders prächtig gelingen die großen Chorszenen. Uwe Eric Laufenberg hat sich in diesem Otello szenisch auf das Wesentliche konzentriert und die Personen mit Liebe zum Detail plausibel und eindringlich geführt. Oberflächlichkeit kann man Laufenberg trotz seines immensen Inszenierungs-Pensums für diesen Otello jedenfalls nicht vorwerfen.
Deutschlandradio Kultur, Franziska Stürz, 17.09.2015
Noch bevor im Staatstheater Leo McFall den Taktstock hebt und die ersten Töne erklingen, springt in Reihe 1 Einer auf und versteigt sich zu politischen Parolen. Es ist Jago, die eigentliche Hauptfigur. Der abgefeimte Intrigant verkündet sein Evangelium des Bösen. Uwe Eric Laufenberg verweist in seiner Inszenierung von Verdis Mord- und Selbstmord-Drama »Otello« aufs Publikum: Das Böse entspringt aus eurer Mitte. Das Notenlose Vorspiel bräuchte es nicht. Matias Tosi ist ein kraftvoll grandioser Schurke, als Jago hat er leichtes Spiel. Otello bietet sich als Opfer an, krankhafte Eifersucht weicht seine Birne auf. Scott Piper singt stark, aber immer mit angezogener Handbremse.
Christina Pasaroiu ist die todgeweihte Unschuld, famose Desdemona mit runder, weicher Stimme.
3 Stunden aufgepeitschter Emotionen bedankt das Publikum mit heftigem Applaus.
Wertung: Sehr gut.
Bild, 21.09.2015
In dynamisch verhaltenen Abschnitten ist die Kompetenz von McFall zu spüren.
Scott Piper weiß die Wandlung des Titelhelden auch vokal packend zu gestalten. Wenn sich seine Kraft mit Liebe mischt ist er der siegreiche Löwe, vermengt mit Eifersucht stürzt er in nachtschwarze Bestialität. Cristina Pasaroius Stern geht im Finalakt auf. Im Angesicht des Todes gestaltet sie das Lied von der Weide wunderbar klar und empfindungstief. In der Mordszene werden sodann die Vorgaben des Komponisten sauber umgesetzt. Auf das letztmalige Aufflackern des Liebesmotivs wird szenisch ebenso authentisch reagiert wie auf das anschließende Wegkippen in den Mordwahn. Wer sich mit einer musikalisch gut grundierten Nacherzählung zufriedengibt, kann hier mit der Inszenierung seinen Frieden schließen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Benedikt Stegemann, 23.09.2015
Eine gute Figur machen alle Sänger, selbst wenn sie am Boden zerstört über die Bühne robben: Wiesbadens inszenierender Intendant hat wieder ein darstellerisch ambitioniertes Ensemble engagiert, allen voran den quirligen Bariton Matias Tosi, der das Publikum erst mal anbrüllt: »Ruhe!«, hallt es durch das Große Haus, und statt des Sturmchors gibt es eine Vorrede, die auf Jagos Text in Shakespeares erstem »Othello«-Akt zurückgreift. Jago ist sozusagen der Spielmacher, der den Vorhang zu Verdis Shakespeare-Welttheater herunterreißt und als Intrigant mit schmalem Bariton eher die Banalität des Bösen als mephistophelische Dämonie verströmt. Mit seiner smarten Jugendlichkeit entspricht Tosi physisch durchaus den Vorstellungen, die Verdis Operntexter Arrigo Boito von dem Bösewicht hatte.
Wiesbadener Kurier, Volker Milch, 19.09.2015
Es beginnt mit einem vielversprechenden Theatercoup. Im noch erleuchteten Zuschauerraum erhebt sich ein junger Mann, der zunächst um Ruhe bittet. Es ist, das wird schnell klar, Jago, der Intrigant, Fähnrich des Feldherrn Otello. Er wendet sich an das Publikum im Shakespeare-Ton und breitet seine nihilistische Weltanschauung zu Gott und der Welt und insbesondere zur Nichtigkeit der Liebe aus.
Mit großem Schwung hatte dieser Mephisto/Jago noch den Vorhang vor der Bühne herabgerissen und den Sturmchor heraufbeschworen, damit das Spiel – sein Spiel – beginnen möge. Nur einmal aber noch erinnert der Regisseur an diesen Einfall: Wenn vor der Pause das Gift des Zweifels an der Unschuld von Desdemona in Otello zu wirken beginnt, begibt sich Jago wieder in den Zuschauerraum, nimmt in einem der Sessel Platz und betrachtet zufrieden, was er angerichtet hat.
Im Übrigen bleibt die Inszenierung textgetreu und arbeitet handwerklich solide das Libretto ab. Das Bühnenbild wird von dicken, hochaufragenden antiken Säulen dominiert, die in den einzelnen Akten zu immer neuen Raumeindrücken umarrangiert werden. Zu Beginn wird auf dem Hintergrundprospekt eine Andeutung von Meer und Himmel sichtbar, zum Ende markieren herabhängende weiße Schleier Desdemonas Schlafgemach, ansonsten bleibt der Bühnenhintergrund schwarz. Das handelnde Personal steckt in heutiger Kleidung. Otello, Jago und die Soldaten tragen khakifarbene Wüstenuniformen, Desdemona unauffällige Alltagskleider und zuletzt ein hübsches weißes Schlafgewand. Die Interaktion der handelnden Figuren gelingt über weite Strecken schlüssig und unspektakulär.
Da die Regie sich immer wieder zurücknimmt, liegt der Fokus stark auf den Sängern der Hauptpartien. Sehr spielfreudig agiert Matias Tosi und bleibt damit bis zuletzt ein Aktivposten dieser Produktion.
Wenn er leiser werden muss, behilft er sich nicht ungeschickt damit, die Fahlheit und Brüchigkeit des Tones zum Stilmittel zu erheben. Das führt zwar zu einem interessanten Rollenporträt, das aber in musikalischer Hinsicht Wünsche offen lässt.
Auch Scott Piper als Otello entspricht nicht dem gewohnten Stimmtypus dieser Partie. Man hat hier Sänger im Ohr, die auch Wagners Siegmund singen können, baritonal grundierte Heldentenöre. Piper dagegen ist eher ein Spintotenor. Man gewinnt sogar den Eindruck, die Stimme könnte noch besser im französischen Repertoire reüssieren und etwa einen fabelhaften Don José abgeben. Das liegt an einer kopfig abgemischten Höhenlage, bei der einige nasal verfärbte Vokale einen regelrecht francophonen Eindruck machen. Das sind aber Geschmacksfragen. Insgesamt bewältigt Piper die schwere Partie problemlos und kann immer wieder kraftvoll auftrumpfen.
Stimmlich ohne Tadel, mit hervorragender Registerverblendung und unangestrengter Höhe präsentiert sich Cristina Pasaroiu als Desdemona. Zu Beginn wirkt sie noch sehr zurückhaltend, beinahe neutral. Nach der Pause jedoch läuft sie zur großen Form auf, zaubert im Lied von der Weide berückend zarte Töne und weiß im »Ave Maria« zu ergreifen. Dass sie ihre letzten Worte rücklings mit vom Bett hängendem Kopf singen muss, ficht sie nicht an. Für ihre Leistung im Schlussakt lohnt sich bereits ein Besuch dieser Produktion.
Bei den Nebenpartien gibt es keine Ausfälle. Aaron Cawley gibt den Cassio mit frischem, eher lyrischen Tenor, Celeste Haworth verfügt als Emilia über einen samtigen Mezzosopran, Young Doo Park als Lodovico über die Gravitas des Staatsbeamten. Benedikt Nawrath als Roderigo und Nathaniel Webster als Montano fügen sich solide ins Gesamtbild ein.
Leo McFall, von dem es heißt, er stehe in der engeren Wahl als künftiger Wiesbadener Generalmusikdirektor, animiert das Orchester zu farbigem Spiel. Der Orchestersatz wird sehr plastisch entfaltet. Gut gelingen gerade die leiseren Passagen. Vor allem die Holzbläser wissen hierbei für sich einzunehmen.
Auch der Chor vermag es, nach recht unkoordiniertem Beginn im weiteren Verlauf immer stärker zu überzeugen.
Insgesamt lässt sich sagen, dass diese Inszenierung Verdi, seinem Librettisten Boito und Shakespeares Vorlage keine Gewalt antut. Musikalisch hat die Produktion ihre Meriten. Das Wiesbadener Stammpublikum muss sich vor ihr nicht fürchten.
Der Opernfreund, Michael Demel, 19.09.2015
Keine Tricks
Das Staatstheater Wiesbaden startet mit einem gutsitzenden »Otello« in die Musiktheater-Saison.
Säulen sind geeignete Elemente auf einer Opernbühne. Der Bühnenbildner Gisbert Jäkel hat sie jetzt in großer Zahl und mächtiger Dicke in Szene gesetzt im Staatstheater Wiesbaden. Man erkennt sie gleich: Die Säulen der Wiesbadener Kurhauskolonnade dienten als Vorbild.
Säulen sind gut, man kann sich hinter ihnen verstecken, aber sie versperren auch gerne die Sicht, das ist schlecht. Das Gute und das Schlechte nebeneinander – damit sind wir beim Thema. Denn es geht um »Otello«, Giuseppe Verdis Shakespeare-Oper. Mit ihr eröffnete das Wiesbadener Haus nun seine Musiktheater-Saison. Und da ist das Thema ja, ist im Programmheft beim Autor Jan Kott nachzulesen, der »Streit zwischen Othello und Jago, ein Streit um die Natur der Welt. Wie ist die Welt: gut oder böse?«
Gut oder böse, gut oder schlecht, schwarz oder weiß? Es ist nicht einfach, sich bei dieser Opernproduktion aus der Hand des Wiesbadener Intendanten Uwe Eric Laufenberg festzulegen. Mit »Otello« – Laufenbergs erster Verdi-Oper – lieferte der Hausherr eine Arbeit ab, die man als solide bezeichnen möchte, würde das nicht so negativ klingen.
Im Grunde stimmt alles: Die Szene ist auf die Antipoden Othello und Jago abgestimmt, Laufenberg vertraut recht erfolgreich auf das Spannungsfeld, das sich zwischen diesen beiden aufbaut. Er verzichtet ganz auf die Trickkiste, die eine Opernbühne technisch zur Verfügung stellt. Kein Coup, Aha, Oho. Ist bei diesem Drama auch nicht nötig, eigentlich. Der Kühle und Ordnung der Säulen steht alleine das Getriebene der gut geführten Protagonisten gegenüber, das sollte bei dieser Oper reichen, eigentlich.
Die beiden Kräfte, die um die Frage nach der Natur der Welt ringen, waren zumindest an ihrer Bühnenpräsenz gemessen sehr gut gewählt. Der Argentinier Matias Tosi gab den Jago, ein drahtiger, seine Bewegungssicherheit fast über Gebühr ausspielender Bariton – er war Tänzer, bevor er Sänger wurde, da sitzt jeder Schritt, jede Geste.
Besondere Sängerqualitäten?
Ihm gegenüber der US-Amerikaner Scott Piper als Othello, seine leicht dunkle Hautfarbe brachte es mit sich, dass das derzeit viel diskutierte Thema Blackfacing – und damit auch das Schminken des »Mohrs von Venedig« bei »Otello«-Inszenierungen – hier nicht weiter diskutiert werden musste. Pipers Bühnenerscheinung war aber nicht nur deswegen prägnant, das Entgleiten der emotionalen Kontrolle leistete er stark.
Doch gerade in den Akten drei und vier überzeugte McFalls Dirigat absolut, das Orchester gönnte ihm ungemein schön gelöste Holzbläser-Stellen, die Sänger wirkten bei ihm gut aufgehoben. Wie ist die Welt: gut oder böse? Im Wiesbadener Graben an diesem Abend deutlich gut.
Frankfurter Rundschau, Stefan Schickhaus, 19.09.2015