© Hessisches Staatstheater Wiesbaden
»Ungeheuer ist viel. Doch nichts / Ungeheurer als der Mensch.« Diese Worte aus Friedrich Hölderlins Übersetzung des griechischen Klassikers sind seither sprichwörtlich und fassen das Geschehen des Stückes in einem Vers. In der Familien-Saga um den Tyrannen Kreon herrschen Krieg und Gewalt, Raub, Mord und Totschlag, Rache und Verrat. Aber in der Gestalt der Antigone steht auch »die Menschlichkeit groß auf«.
Im Mittelpunkt des Dramas steht der Widerstand der Antigone gegen die Gewaltherrschaft Kreons. Der Konflikt entzündet sich um ein Begräbnis. Antigone will ihren erschlagenen Bruder in allen Ehren begraben; was Kreon dem »Verräter«, für den er ihn hält, verweigert. Sie fordert Gerechtigkeit; er lebt in dem Wahn, immer Recht haben zu müssen. Kreon: »Nie wird ein Feind, auch wenn er tot ist, Freund.« Antigone: »Aber gewiß. Zum Hassen nicht, zur Liebe leb ich.«
Das 1000- jährige Reich, wie Hitler es sich zurecht phantasierte, lag nach 12 Jahren in Trümmern, da kehrte der Stückeschreiber Bertolt Brecht aus dem amerikanischen Exil nach Europa zurück. Er fragte sich, wie ein Neubeginn des Theaters inmitten der Reste des Alten aussehen könnte und antwortete mit einem Rückgriff auf einen antiken Stoff, den er bearbeitete. Seine Neufassung der »Antigone des Sophokles«, uraufgeführt 1948 in der Schweiz, baut auf der Nachdichtung Hölderlins auf und erzählt eine »höchst realistische Volkslegende«. Brecht entmystifiziert den Stoff. Aus einer uralten Sage wird ein aktuelles Drama.
Betrachtet man die »Antigone« von Sophokles/Hölderlin/Brecht von heute aus, so weitet sich der Blick ins Grundsätzliche und bietet gleichzeitig ein akutes Vorbild. Das Stück ist zu verstehen als eine Absage an jede wahnwitzige oder diktatorische Herrschaftsallüre. Es liefert ein exemplarisches Beispiel für zivilen Ungehorsam, wendet sich gegen jede Diskriminierung und fordert auf zum Widerstand gegen Unrecht und alle Gewalt.
In einem Gedicht bittet Brecht die tote Antigone, die Bühne noch einmal zu betreten:
»Antigone, komm aus dem Dämmer und geh / Vor uns her eine Zeit, / Freundliche, mit leichtem Schritt / Der ganz Bestimmten, schrecklich / Den Schrecklichen. / Abgewandte, ich weiß, / Wie du den Tod gefürchtet hast, aber / Mehr noch fürchtest du / Unwürdig zu leben. / Und ließest den Mächtigen / Nichts durch.«
Manfred Karge