Und schon wieder staunen die Zuschauer im Wiesbadener Theaterfoyer. Aber diesmal nicht über den Supermarkt, der hier bei der Biennale wohnte, sondern darüber, wie rückstandslos er abgebaut wurde. Nun steht die Schönheit des neobarocken Saals für sich – wie nach einem Spuk. Kehrt der Alltag wieder ein im Staatstheater?
Noch nicht ganz. Der Nachhall des Festivals ist bei dieser ersten Premiere der Saison spürbar. Mit einigen jungen, neugierigen Zuschauern, die sich nun auch für den normalen Spielplan interessieren. Aber auch mit ein paar leeren Plätzen im Großen Haus. Da wird Georges Feydeaus Komödie »Der Floh im Ohr« vermutlich ein bisschen in Sippenhaft dafür genommen, dass mancher langjährige Premierenbesucher mit der Biennale nicht einverstanden war.
Dabei liefert die von Intendant Uwe Eric Laufenberg inszenierte Klamotte eigentlich wenig Angriffsfläche. […] Dahinter steht präzises Timing – auch der diversen Auftritte und Abgänge. Schließlich gilt die 1907 in Paris uraufgeführte Komödie als klassischer »Tür-auf-Tür-zu«-Schwank. Das wird von Rolf Glittenbergs Bühnenbild perfekt bedient: Mit reichlich Türen in den fast schon karikaturhaft-überzeichnet hohen Wänden – weiß wie im übertragenen Sinne die Weste des Hausherrn – dazu ein Teppichboden, rot wie die Sünde. Und später, im »Hotel zum Schlummerkätzchen«, da darf es etwas mehr sein, da geht es treppauf, treppab und rundherum im genial kreisenden Bett, das immer zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt den Zimmernachbarn auf die Bildfläche befördert.
[…] Im Mittelpunkt aber steht eine treue Seele: Der seröse Geschäftsmann Victor-Emmanuel, der in die Turbulenzen des Hotels mit dem putzigen Namen gerät und dort auf ein tumbes Pendant trifft.
Was für eine Doppelrolle – wie geschaffen für Michael Birnbaum. Wie macht er das nur mit den schnellen Umzügen? Seine beiden Figuren sind jedenfalls eine sichere Bank der lustigsten Momente. Aber auch Linus Schütz erntet als sein Neffe Camille Szenenapplaus wegen seines virtuos durchgehaltenen Sprachfehlers. Eine Tücke des Autors, die heute politische Korrektheit auf den Plan ruft.
Schließlich geht es ja überhaupt um den doppelten Boden. Und da hat Feydeau einige Bonmots parat, die ihn fast in die Nähe von Oscar Wilde rücken: »Warum sollte ich ihn nicht betrügen? Aber dass er mich betrügt, das geht zu weit.«, entrüstet sich Victor-Emmanuels Gattin Raymonde, bei Mira Benser eine Mischung aus apart und abgebrüht. Llewellyn Reichman ist ihre elegante Freundin Lucienne, beide von Jessica Karge in chanelähnliche Kostümchen gesteckt. Matze Vogel ist ihr aufbrausender Ehemann, Uwe Kraus gibt einen schlitzohrig-patenten Doktor Finache und Felix Strüven den Frauenhelden Tournel. Und das echte Paar Evelyn M. Faber und Gottfried Herbe gibt als Hotelbetreiber auch auf der Bühne ein famoses Duo ab.
Aber der heimliche Favorit des vom Publikum mit herzlichem Applaus bedachten Abends ist das hinreißend geschnittene Tiervideo von Gerard Naziri zu Hildegard Knefs »Sei mal verliebt« in einer Umbaupause. Ein recht gelungener Auftakt also – und einer mit Folgen: Im Oktober gibt es in der Wartburg ein ganzes Premieren-Wochenende zum Thema »Vertrauen verloren«. Da zeigt sich auch, was ein Spiel-Plan ist.
Wiesbadener Kurier, Brigitta Lamparth, 10.09.2018
Oh doch, es gibt Dinge, die einen beunruhigen müssen. Nein, nicht Politik oder Wirtschaft. Aber zum Beispiel dieser soignierte Herr, der auf dem Weg zum Pausenbuffet zu seiner Begleitung sagt: »Wie im richtigen Leben!« Nun hat man in der Landeshaupt- und Kurstadt ja schon so allerhand gesehen, vor allem in den jüngsten Zeiten. Aber dass die dortigen Honoratioren und Doktoren sich in einem Etablissement namens »Schlummerkätzchen« die Klinke in die Hand geben, während die chanelkostümierten Ehefrauen das offene Wort scheuen und lieber zu Tricks aus der Theatermottenkiste greifen – das glaubt man ungefähr so wie einen güldenen Erdogan auf dem Platz der deutschen Einheit.
Der inkriminierte Kunstpolitiker ist weg, die Biennale auch, das Große Haus des Staatstheaters, das zehn Tage lang Parkhaus und Autokino war, hat zwar noch eine schnöde Rampe an der Fassade – aber drinnen wird wieder Theater gemacht. […]
Das Erfolgsstück des Vielschreibers Georges Feydeau aus dem Jahr 1907 erfreute sich gerade in den vergangenen Spielzeiten auch jenseits der klassischen Komödienbühnen wieder großer Beliebtheit. […]
Man kann zum anderen aber natürlich auch einfach nur Komödie spielen wie im Textbuch. Das Allzumenschliche bleibt uns schließlich, Potenzprobleme, Betrug, Verrat, Handicaps – und wenn der Herr auf dem Weg zum Pausenfoyer recht hat, ist das auch so noch eine ganze Menge. »Der Floh im Ohr«, vielleicht das beste Qualitätsprodukt aus Feydeaus Humorfabrik, setzt auf das Huch! und Hach!, auf Überraschungseffekte und auf wirkungsvolle, temporeiche Verwechslungen mit einem Wissensvorteil des Zuschauers.
Genauso ist das jetzt in Wiesbaden zu sehen. Das Großaufgebot von 13 Schauspielern, darunter zahlreiche neue und junge Kräfte des Ensembles, schlägt sich wacker lustig, wobei Michael Birnbaum in der Doppelrolle des Victor-Emmanuel Chandebise und des Dieners Poche herausragt, Linus Schütz dem Sprachfehler des Cousins Camille Chandebise das Beste abringt, indem er zusätzlich herrlich akrobatisch herumkobolzt, und Matze Vogel so albern, wie es geht, den spanischen Akzent und das Temperament von Carlos Homenides des Histangua zur Lachnummer macht. Die klunkerbehängten Damen Chandebise und Histangua (Mira Benser, Llewellyn Reichman) sowie der Charmeur Tournel (Felix Strüven) tun, was getan werden muss, das Publikum reagiert angemessen lachlustig, man kommt ja gar nicht umhin, vieles als komisch zu empfinden. Menschen unter Möbeln etwa oder sich drehende Betten. […]
Regisseur Uwe Eric Laufenberg und sein Ensemble setzen die »Tür-auf-Tür-zu«-Farce überzeugend um und sorgen für einen Abend voller Lust und Laune.
[…]
Entlarvend wirkt auch der Text in einigen Zitaten, besonders was die Doppelmoral der Protagonisten angeht. Wenn etwa Raymonde sagt: »Warum sollte ich ihn nicht betrügen? Aber dass er mich betrügt, das geht zu weit«, dann ist dem nichts hinzuzufügen, erklärt sich das Verständnis der Sprecherin von selbst. Vielleicht sind dies die überraschendsten Momente in dem ereignisreichen, äußerst turbulenten, aber oft auch vorhersehbaren Schwank.
Doch darf keinesfalls die außergewöhnliche Umbaupause vergessen werden. Da suhlen sich per Videoprojektion, von Gerard Naziri zusammengestellt, Tiere unterschiedlichster Art, Katzen, Kängurus und Giraffen, auf dem Vorhang herzerwärmend beim Geschlechterspiel. Die einen wagen nur schüchterne Kuschelversuche, andere gehen richtig zur Sache. Dazu singt Hildegard Knef »Sei mal verliebt«. Ein netter Beitrag zu einem Dauerthema, das wie eine langjährige Beziehung ab und an mal was Frisches gebrauchen kann.
Frankfurter Neue Presse, Katja Sturm, 11.09.2018
[…]
Rasant und unterhaltsam ist hier der knochentrockene Michael Birnbaum als Victor-Emmanuel Chandebise – ein repräsentativer Name, der im Laufe des Abends so oft fällt, dass er gezaust daraus hervorgeht –, der dem Jungen für alles im Schlummerkätzchen zum Verwechseln ähnlich ist. Kein Wunder, handelt es sich doch ebenfalls um Michael Birnbaum, aber auch das wissen die Figuren nicht und geraten in höchste Verlegenheit. Birnbaum ist ein bodenständiger und unmarinierter Chandebise. Lässt er sich einmal zu fundamentaleren Sätzen hinreißen – »Oh Gott, diese verrückte Macht der Liebe«, noch besser natürlich die arge Erkenntnis: »Ich lieg‘ da drin in meinem Bett« – gestaltet er sie so lakonisch, dass man zappelig wird vor Lachen.
Auf der Bühne wird das Zappeln dem höchst beweglichen Linus Schütz als Neffen Camille überlassen, das ist der mit dem gravierenden Sprachfehler. Kühl die Damen, hinreißend vor allem Llewellyn Reichman als Lucienne, um die herum es nachgerade klirrt. Zugleich ist sie total unreif, ein elegantes Kind, eine kuriose kleine Frauenstudie. Klassischer im Komödienstatus befindet sich Mira Benser als Madame Chandebise. In der Schlummerkatze regieren die an sich friedfertigen Ferrailons, Evelyn M. Faber und Gottfried Herbe, die in ihrer halbweltlichen Umgebung – und von Jessica Karge auch so eingekleidet – mehr herrlich stoische Bürgerlichkeit vermitteln als alle Bürger zusammen.
Ja, das Publikum liebt es!
[…]
Frankfurter Rundschau, Judith von Sternburg, 14.09.2018
Noch nicht ganz. Der Nachhall des Festivals ist bei dieser ersten Premiere der Saison spürbar. Mit einigen jungen, neugierigen Zuschauern, die sich nun auch für den normalen Spielplan interessieren. Aber auch mit ein paar leeren Plätzen im Großen Haus. Da wird Georges Feydeaus Komödie »Der Floh im Ohr« vermutlich ein bisschen in Sippenhaft dafür genommen, dass mancher langjährige Premierenbesucher mit der Biennale nicht einverstanden war.
Dabei liefert die von Intendant Uwe Eric Laufenberg inszenierte Klamotte eigentlich wenig Angriffsfläche. […] Dahinter steht präzises Timing – auch der diversen Auftritte und Abgänge. Schließlich gilt die 1907 in Paris uraufgeführte Komödie als klassischer »Tür-auf-Tür-zu«-Schwank. Das wird von Rolf Glittenbergs Bühnenbild perfekt bedient: Mit reichlich Türen in den fast schon karikaturhaft-überzeichnet hohen Wänden – weiß wie im übertragenen Sinne die Weste des Hausherrn – dazu ein Teppichboden, rot wie die Sünde. Und später, im »Hotel zum Schlummerkätzchen«, da darf es etwas mehr sein, da geht es treppauf, treppab und rundherum im genial kreisenden Bett, das immer zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt den Zimmernachbarn auf die Bildfläche befördert.
[…] Im Mittelpunkt aber steht eine treue Seele: Der seröse Geschäftsmann Victor-Emmanuel, der in die Turbulenzen des Hotels mit dem putzigen Namen gerät und dort auf ein tumbes Pendant trifft.
Was für eine Doppelrolle – wie geschaffen für Michael Birnbaum. Wie macht er das nur mit den schnellen Umzügen? Seine beiden Figuren sind jedenfalls eine sichere Bank der lustigsten Momente. Aber auch Linus Schütz erntet als sein Neffe Camille Szenenapplaus wegen seines virtuos durchgehaltenen Sprachfehlers. Eine Tücke des Autors, die heute politische Korrektheit auf den Plan ruft.
Schließlich geht es ja überhaupt um den doppelten Boden. Und da hat Feydeau einige Bonmots parat, die ihn fast in die Nähe von Oscar Wilde rücken: »Warum sollte ich ihn nicht betrügen? Aber dass er mich betrügt, das geht zu weit.«, entrüstet sich Victor-Emmanuels Gattin Raymonde, bei Mira Benser eine Mischung aus apart und abgebrüht. Llewellyn Reichman ist ihre elegante Freundin Lucienne, beide von Jessica Karge in chanelähnliche Kostümchen gesteckt. Matze Vogel ist ihr aufbrausender Ehemann, Uwe Kraus gibt einen schlitzohrig-patenten Doktor Finache und Felix Strüven den Frauenhelden Tournel. Und das echte Paar Evelyn M. Faber und Gottfried Herbe gibt als Hotelbetreiber auch auf der Bühne ein famoses Duo ab.
Aber der heimliche Favorit des vom Publikum mit herzlichem Applaus bedachten Abends ist das hinreißend geschnittene Tiervideo von Gerard Naziri zu Hildegard Knefs »Sei mal verliebt« in einer Umbaupause. Ein recht gelungener Auftakt also – und einer mit Folgen: Im Oktober gibt es in der Wartburg ein ganzes Premieren-Wochenende zum Thema »Vertrauen verloren«. Da zeigt sich auch, was ein Spiel-Plan ist.
Der inkriminierte Kunstpolitiker ist weg, die Biennale auch, das Große Haus des Staatstheaters, das zehn Tage lang Parkhaus und Autokino war, hat zwar noch eine schnöde Rampe an der Fassade – aber drinnen wird wieder Theater gemacht. […]
Das Erfolgsstück des Vielschreibers Georges Feydeau aus dem Jahr 1907 erfreute sich gerade in den vergangenen Spielzeiten auch jenseits der klassischen Komödienbühnen wieder großer Beliebtheit. […]
Man kann zum anderen aber natürlich auch einfach nur Komödie spielen wie im Textbuch. Das Allzumenschliche bleibt uns schließlich, Potenzprobleme, Betrug, Verrat, Handicaps – und wenn der Herr auf dem Weg zum Pausenfoyer recht hat, ist das auch so noch eine ganze Menge. »Der Floh im Ohr«, vielleicht das beste Qualitätsprodukt aus Feydeaus Humorfabrik, setzt auf das Huch! und Hach!, auf Überraschungseffekte und auf wirkungsvolle, temporeiche Verwechslungen mit einem Wissensvorteil des Zuschauers.
Genauso ist das jetzt in Wiesbaden zu sehen. Das Großaufgebot von 13 Schauspielern, darunter zahlreiche neue und junge Kräfte des Ensembles, schlägt sich wacker lustig, wobei Michael Birnbaum in der Doppelrolle des Victor-Emmanuel Chandebise und des Dieners Poche herausragt, Linus Schütz dem Sprachfehler des Cousins Camille Chandebise das Beste abringt, indem er zusätzlich herrlich akrobatisch herumkobolzt, und Matze Vogel so albern, wie es geht, den spanischen Akzent und das Temperament von Carlos Homenides des Histangua zur Lachnummer macht. Die klunkerbehängten Damen Chandebise und Histangua (Mira Benser, Llewellyn Reichman) sowie der Charmeur Tournel (Felix Strüven) tun, was getan werden muss, das Publikum reagiert angemessen lachlustig, man kommt ja gar nicht umhin, vieles als komisch zu empfinden. Menschen unter Möbeln etwa oder sich drehende Betten. […]
[…]
Entlarvend wirkt auch der Text in einigen Zitaten, besonders was die Doppelmoral der Protagonisten angeht. Wenn etwa Raymonde sagt: »Warum sollte ich ihn nicht betrügen? Aber dass er mich betrügt, das geht zu weit«, dann ist dem nichts hinzuzufügen, erklärt sich das Verständnis der Sprecherin von selbst. Vielleicht sind dies die überraschendsten Momente in dem ereignisreichen, äußerst turbulenten, aber oft auch vorhersehbaren Schwank.
Doch darf keinesfalls die außergewöhnliche Umbaupause vergessen werden. Da suhlen sich per Videoprojektion, von Gerard Naziri zusammengestellt, Tiere unterschiedlichster Art, Katzen, Kängurus und Giraffen, auf dem Vorhang herzerwärmend beim Geschlechterspiel. Die einen wagen nur schüchterne Kuschelversuche, andere gehen richtig zur Sache. Dazu singt Hildegard Knef »Sei mal verliebt«. Ein netter Beitrag zu einem Dauerthema, das wie eine langjährige Beziehung ab und an mal was Frisches gebrauchen kann.
Rasant und unterhaltsam ist hier der knochentrockene Michael Birnbaum als Victor-Emmanuel Chandebise – ein repräsentativer Name, der im Laufe des Abends so oft fällt, dass er gezaust daraus hervorgeht –, der dem Jungen für alles im Schlummerkätzchen zum Verwechseln ähnlich ist. Kein Wunder, handelt es sich doch ebenfalls um Michael Birnbaum, aber auch das wissen die Figuren nicht und geraten in höchste Verlegenheit. Birnbaum ist ein bodenständiger und unmarinierter Chandebise. Lässt er sich einmal zu fundamentaleren Sätzen hinreißen – »Oh Gott, diese verrückte Macht der Liebe«, noch besser natürlich die arge Erkenntnis: »Ich lieg‘ da drin in meinem Bett« – gestaltet er sie so lakonisch, dass man zappelig wird vor Lachen.
Auf der Bühne wird das Zappeln dem höchst beweglichen Linus Schütz als Neffen Camille überlassen, das ist der mit dem gravierenden Sprachfehler. Kühl die Damen, hinreißend vor allem Llewellyn Reichman als Lucienne, um die herum es nachgerade klirrt. Zugleich ist sie total unreif, ein elegantes Kind, eine kuriose kleine Frauenstudie. Klassischer im Komödienstatus befindet sich Mira Benser als Madame Chandebise. In der Schlummerkatze regieren die an sich friedfertigen Ferrailons, Evelyn M. Faber und Gottfried Herbe, die in ihrer halbweltlichen Umgebung – und von Jessica Karge auch so eingekleidet – mehr herrlich stoische Bürgerlichkeit vermitteln als alle Bürger zusammen.
Ja, das Publikum liebt es!
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