Unbekannter Autor. Das Nibelungenlied
„Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
von helden lobebæren, von grôzer
arebeit, von freuden, hôchgezîten, von
weinen und von klagen, von küener recken
strîten muget ír nu wunder hoeren sagen.“
Der Standard – 20.04.2013
Hochwertige Helden-Parade – Im Theater der Jugend wird der uralte Stoff der „Nibelungen“ neuartig und hochwertig erzählt
„Uns ist in alten maeren wunders vil geseit“: Der „Nibelungen“ Anfang gehört im Theater im Zentrum einem Paar geflügelter Engel. Gerald Maria Bauer (Regie) und Thomas Birkmeir verdankt das trostloseste Heldenlied der Deutschen eine neue Zukunftsperspektive. „Ruodi“ und „Sigi“ sind Brünnhilds und Kriemhilds ungeborene Söhne. Als Zeugen überwachen sie den Ausgang einer Sage, deren versöhnlich stimmendem Schluss sie ihr Leben verdanken.
Das „Minnen“ steht ganz klar im Mittelpunkt der von Bauer schmissig erzählten Handlung. Siegfried (Johannes Gaan) platzt als tumber Terrorist in die Wormser Gesellschaft, deren Personal (Ute, Gunter, Hagen) einem apokryphen Shakespeare-Königsdrama entliehen scheint. Kriemhild (Iréna Flury), mehr noch aber der sportiven Brünnhild (Sara Livia Krierer) eignet eine würdevolle Kratzbürstigkeit. Der Disput der Königinnen auf den Stufen des Wormser Doms eskaliert prächtig. Regisseur Bauer gelingt hier sogar ein kleiner szenischer Essay über die Manipulation des Volkswillens. Von kühner Mimen Witzen mögt Ihr nun Wunder hören sagen:
Die Wormser spucken zwanghaft auf den Boden, wenn die Rede auf „Ausländer“ kommt. Siegfried, dem das Schwert Balmung locker in der Scheide sitzt, wird als nützlicher Idiot gebraucht und nach erledigter Aufgabe hinterrücks gemeuchelt.
Das Ensemble zeigt sich spielfreudig und schüttelt die Bonmots nur so aus den Ritterwämsern. Allein der Schluss mit seinem Aufruf zur allseitigen Menschheitsverbrüderung (und Verschwesterung!) ist ein wenig dunstig geraten. Das ist der Nibelungen Not nicht: Im Theater der Jugend wird ein uralter Stoff neuartig und hochwertig erzählt.
Ronald Pohl
Die Presse – 24.04.2013
Jugendtheater: Die Weiber erobern Worms – Das „Theater im Zentrum“ bringt das „Nibelungenlied“ auf die Bühne – sehr cool, sehr hitzig
Es sind die Engel, die den Zuschauern des Theaters der Jugend aus der Seele sprechen. Sie sitzen weiß gefiedert am Bühnenrand und kommentieren, was sie alles zu sehen bekommen, sei es die erste Begegnung Siegfrieds mit seiner Kriemhild, sei es der schnöde Verrat durch Gunter. Kindermund halt. Bis Siegfried stirbt. Da ruft der blonde Engel laut: „Und du hast gesagt, alles geht gut aus!!!“
Nichts geht gut aus im „Nibelungenlied“, es ist ein Gemetzel und Gemeuchel, mehr „Game of Thrones“ als „Charmed“, und nach zwei flotten Stunden im Theater der Jugend wurden mehr Figuren erschlagen, erdolcht oder vergiftet, als Schauspieler auf der Bühne gestanden sind. Geschönt wird also nichts, jedenfalls fast nichts. Denn natürlich musste Regisseur Gerald Maria Bauer jenen Kindern und Jugendlichen (das Stück ist ab elf angesetzt), die noch nicht daran gewöhnt sind, dass das Gute am Ende nicht gewinnt, entgegenkommen: Kriemhild (zart und stark: Irena Flury) und Brünnhild (herb und sexy: Sara Livia Krierer) überleben. Vereint als Freundinnen triumphieren sie über die Männer und streichen sich glücklich über die Bäuche: Die Engel am Bühnenrand, die ungeborenen Kinder, können sich freuen. Sie werden das Licht der Welt doch noch erblicken, auch wenn sie ihren Vätern nie begegnen werden.
Mitleidloser Siegfried
Was heißt dieses Ende aber für die Männerfiguren? Dass Gerald Maria Bauer und Thomas Birmkeir sie so gezeichnet haben, dass man über ihren Tod nicht allzu lange trauern mag: Gunter überwindet seine Brünnhild nur mit Tücke – was da im Off geschieht, ist eine Vergewaltigung! Und Siegfried? Das ist hier ein Typ, der keine Grenzen kennt, blutrünstig und mitleidlos. Einer, der sich freut, wenn sein Schwert durch lebendes Fleisch schneidet, als wäre es Butter. Johannes Gaan spielt ihn beweglich, kräftig, als jungen Kerl mit einer fast naiven Lust am Töten.
Dazu: eine coole, minimalistische Bühne in Beton-Optik und – mindestens genauso wichtig – ein Bewegungscoach, dessen Existenz man nicht nur den Schwertszenen ansieht.
Bettina Steiner
Wiener Zeitung – 18.04.2013
Der edle Recke als Terminator
Zwei bildhübsche, übermütige Engelsknaben fiebern voll Ungeduld ihrer bevorstehenden Menschwerdung entgegen: Sigi (Stefan Rosenthal) und Ruodi (Ralph Kinkel) wissen bereits, dass Kriemhild und Brünnhild als Mütter ausersehen sind. Aber welche Väter werden ihnen wohl zugeteilt? Umso neugieriger beobachten und kommentieren sie aus ihrem Zwischenreich die Geschehnisse am Burgunderhof in Worms. Allerdings werden sie, je mehr sich die Ereignisse zuspitzen, immer skeptischer – denn die irdische Welt ist alles andere als ein einladender Abenteuerspielplatz.
Gerald M. Bauer und Thomas Birkmeir demontieren in ihrer Bühnenversion der Nibelungen-Saga im Theater der Jugend den Heldenmythos mit hintersinnig-schwarzhumorigem Witz, als wäre es die Spielvorlage für einen Action-Film von heute. Demgemäß lässt auch Gerald M. Bauer in seiner dynamisch-drastischen Inszenierung mit bunten, historisierenden Kostümen (Jessica Karge) ein fantasievolles Mittelalter erstehen.
Die edlen Recken des Burgunderreichs sind im Grunde eine mafiöse Macho-Gesellschaft, der es nur um Macht und Reichtum geht. Überdies sind sie ausländerfeindlich. Trotzdem wäre König Gunter (Michael Schusser)einer Heirat seiner darob entsetzten Schwester Kriemhild mit dem wilden Hunnenkönig Etzel (Uwe Achilles) nicht ganz abgeneigt.
Wir machen alles anders!
Doch da schneit ein kraftstrotzender, aber nicht mit Geistesgaben gesegneter Fremder namens Siegfried ins Haus. Kriemhild und er erleben sogleich den magischen (Tarzan-) Moment: „Ich Siegfried, du Kriemhild.“
Der mühsam zu zivilisierende „Ausländer“ wird als brauchbarer „Terminator“ akzeptiert, sobald er sich als Eigentümer des Nibelungen-Schatzes entpuppt, auch wenn er sich Erbe und Schatz mit Hilfe seines Schwertes und seiner Tarnkappe erobert hat.
Bei der Doppelhochzeit zwischen Gunter und Brünnhild sowie Siegfried und Kriemhild kommt es zum Eklat, an dessen Ende Siegfried ermordet wird. Doch die trostlose Witwe, die das Komplott durchschaut hat, ist letztendlich schlauer als alle Männer zusammen: Sie ehelicht Etzel, lockt die Burgunder ins Hunnenland, vergiftet die Angereisten sowie den ungeliebten Gatten beim raffiniert inszenierten Begrüßungsumtrunk und solidarisiert sich mit der plötzlich auftauchenden Brünnhild. Die schwangeren Frauen blicken nun optimistisch in die Zukunft.
Das letzte Wort haben die Ungeborenen: „Wir machen alles anders! Besser.“
Hilde Haider-Pregler
Kronenzeitung – 18.04.2013
Theater der Jugend: Perfides aus Worms
Es ist was los an Gunters Hof zu Worms: als turbulente, moderne, aber doch blutrünstige Familiengeschichte in historischen Kostümen präsentieren Gerald Maria Bauer und Thomas Birkmeir im Theater im Zentrum ihre Version der „Nibelungen“. Und das mitunter derb.
Sigi (Kriemhilds und Siegfrieds ungeborener Sohn Siegmund) und sein himmlischer Kumpan Ruodi (Brünnhilds und Gunters Spross, eigentlich Siegfrieds) beobachten das intrigante, böse und schmerzvolle Treiben ihrer Erzeuger: Siegfrieds (Johannes Gaan) Werben um Kriemhild (Iréna Flury), das perfide Spiel der Minne von Gunter (Michael Schusser) mit Brünnhild (Sara Livia Krierer), Hagens (Simon Jaritz) im Mord endende Einflüsterungen und endlich der Showdown mit Kriemhilds Rache an ihrer Familie. Was die beiden Buben (komisch: Stefan Rosenthal und Ralph Kinkel) da heimlich beobachten, verstört, schockt, erschüttert sie.
Gerald Maria Bauer und Thomas Birkmeir beginnen ihre Version mit dem Urton des Nibelungenliedes, verlassen das Mittelhochdeutsche aber rasch: neuzeitlich, frech, mit Bonmots und flotten Sprüchen erzählen sie die Geschehnisse rund um Kriemhilds unglückliche Liebe. Gegengesteuert hat Bauer mit seiner Inszenierung und mit der Ausstattung (Bühne: Vinzenz Karl Gertler, Kostüme: Jessica Karge) Das Schwert schwingen die Helden, Brünnhild (die spätere Walküre) trägt eine goldene Brünne…
Am Ende meinen die Knaben, dass sie es besser machen wollen: gute Idee!
Thomas Gabler
Kurier – 18.04.2013
Denn sie wollen immer nur das eine: „minnen“ – Actionreiche „Nibelungen“ im Theater der Jugend
Die Nibelungen darf man gerne als Mutter aller Seifenopern bezeichnen. Man kann sie auch so inszenieren. Das kann man lustig oder halblustig finden. Vorweg: Das junge Publikum (ab elf) fand die Inszenierung im Theater der Jugend sehr lustig.
Die Geschichte vom Drachentöter Siegfried, der von der Schönheit der Burgunderprinzessin Kriemhild angetan ist, ist ein ziemlicher Heuler. Siegfried, nach einem Bad in Drachenblut scheinbar unverwundbar, hat sich quasi im Vorübergehen den Schatz der Nibelungen gesichert und mit Hilfe einer Tarnkappe seinem Schwager Gunther bei der Eroberung der unwilligen Brünhild geholfen.
Am Ende siegen die Frauen
Zum Dank dafür bringen Gunther und sein Spezi Hagen den etwas drögen Siegfried dann um. Nicht ohne sich vorher den Schatz des Zwergenvolkes organisiert zu haben. Sie werden nicht lange Freude daran haben. Am Ende siegen die Frauen, allerdings müssen sie sich vorher dämliche Klischees wie „Stutenbissigkeit“ vorwerfen lassen. Aber wenigstens sind sie jetzt die Typen los, die ständig „minnen“ wollen: Dass das soviel wie „Sex haben“ heißen soll, wird zu Beginn des Stücks erklärt und dann bei jeder Gelegenheit breitgetreten: „Ich will dich minnen.“ Wer das sagt, ist ein echter „Womanizer“.
(…) Dafür gibt es reichlich Action – Schwertkämpfe und erlegte Wildschweine. Originaltext mutet Regisseur Gerald Maria Bauer dem jungen Publikum nur zu Beginn zu: „Viel Wunderdinge melden die Mären alter Zeit …“
Barbara Mader
KiKu – 16.04.2013
Zwei Powerfrauen und ihre künftigen Kinder – Witzige, bissige Version der Nibelungen im Wiener Theater der Jugend
Die jüngste Version von der rund 800 Jahre alten Geschichte der Nibelungen im Wiener Theater im Zentrum, der kleineren Spielstätte des Theaters der Jugend, führt als Art Erzähler zwei neue Figuren ein: Ruodi und Sigi, die beiden noch nicht geborenen, ja noch nicht einmal gezeugten Kinder der Heldinnen Kriem- und Brünnhild. Als Engelchen zittern sie in den Wendungen der kriegerischen Geschichte immer wieder darum, ob sie überhaupt gezeugt und geboren werden. Stellen gegen Ende die Frage, ob’s unter all dem blutigen Gemetzel des Geschehens, das sie nur beobachten dürfen, nicht vielleicht sogar besser wäre, nicht auf diese Welt zu kommen.
Obwohl mit einem der leicht schwülstig klingenden Verse von den Wunderdingen und Heldentaten – noch dazu im Mittelhochdeutschen – beginnend, entkleidet diese Version die Story dieser Anhimmelung von Kampf, Krieg, Mord und Intrigen. Aber auf eine fast durchgängig herrlich witzige Art und Weise. Mitunter ziemlich bitterböse und mit vielen Anspielungen ins hier und heute. Vom Terminator bis zur Königin der Herzen, von der Korruption bis zu Beziehungsknatsch. Und die Theater-der-Jugend-Nibelungen heben die doch so deutlich auf der Hand liegende Tatsache, dass zwei Frauen die Hauptfiguren sind, die dennoch in so mancher Version hinter dem (fast) unverwundbaren Siegfried zurückstecken.
Heinz Wagner