Rezension Saarbrücker Zeitung, 14. September 2009
Die „Faust“-Version der Saarbrücker Intendantin wurde am Samstag kein triumphaler, aber ein imponierender Abend. Er verhalf einem jungen Ensemble-Neuzugang zum großen Auftritt: Boris Pietsch wurde als Mephisto gefeiert.
Von Merkur-Mitarbeiterin Cathrin Elss-Seringhaus
Im Dauer-Psycho-Clinch: Faust (Georg Mitterstieler) und Mephisto (Boris Pietsch). Saarbrücken. Am Ende geht’s dem Teufel grimmig schlecht. Drei Stunden lang hat Mephisto richtig geackert, um dem von nichtgelebten Leben gequälten Ex-Wissenschaftler Dr. Faust Selbstzufriedenheit zu verschaffen. Doch dann wird ihm sein Wett-Lohn, Fausts Seele, entführt. Die eines Verführers, Mörders, Falschmünzers und Kolonisators. Aber halt. Der frivole Pakt zwischen Teufel und Gott (Prolog im Himmel) findet hier gar nicht statt. Schockartig schleudert uns Intendantin Dagmar Schlingmann bereits in der ersten Sekunde hinein in Fausts Weltekel. Direkter geht’s nicht.
60 Jahre lang hat Goethe am Faust geschrieben, hat ein unausschöpfliches Kunstwerk hinterlassen, aber kein gutes Theaterstück. Der zweite Teil ist bildungsüberfrachtetes Stückwerk geblieben. Das Gesamtgefüge wackelt selbst dann, wenn man mit dem Mut und der Konsequenz den Text wie Schlingmann auskahlt bis zur Schmerzgrenze. Weg mit seligen Knaben, Pygmäen, Nymphen. Wenn Schlingmann Fabel-Wesen wie die „Mütter“ braucht, steckt sie sie in schwarze Bürger-Tracht. Und wenn bei Goethe der Chorus Mysticus das „ewig Weibliche“ als Rettungsinstanz beschwört, flimmern bei Schlingmann die legendären acht Zeilen der „Zueignung“ als karge Schriftzeichen über monumentale Stufen. Ausnüchterung, so heißt das Prinzip. Auch optisch.
Eine Treppe füllt die Bühne. Das Einheitsbühnenbild (Sabine Mader) stützt Schlingmanns Ansatz einer „abstrakten“ Reise durch Gedankenräume und Bewusstseins-Zustände. Sie verläuft ohne Verpoppung, ohne Banalisierung, ohne Aktualisierungs-Firlefänzchen. Wir erleben berückende Videoprojektionen (Penner/Hilge), die mal Las-Vegas-Lichterflirren, mal Goldtaler-Glanz oder Eulen-Gespenster herbei zaubern. Vortreffliche jazzige Musik-Einspielungen (A. Höltsch) sorgen für dezente Sinnlichkeit und Belebung.
Auf diese Art gelingt das Überraschendste: Kurzweiligkeit. Wir absolvieren Faust im Laufschritt – und finden’s wunderbar. Dafür sorgt auch ein bestens aufgelegtes Ensemble, insbesondere ein grandioses Quartett, das den ersten Teil trägt. Bei ihm landete denn auch der Jubel, etwa bei einer subtil komischen Saskia Petzold, die zeigt, wie die Kupplerin Marthe die Femme fatale ansteuert und doch nur bei einem ordinären Muttchen landet. Das Gretchen bekommt von Natalie Hanslik eben so viel innere frauliche Kraft wie kindliches Strahlen. Die heikle Kerkerszene mit ihren Wahn-Passagen gelingt ihr ohne Krampf – ein Glücksfall. Und was lässt sich über das Männer-Paar sagen? Diese Kombination sprüht Funken, es ist ein Fest. Zwei ähnlich feurig aufgeladene Temperamentsbündel treffen aufeinander. Mitterstielers Faust ist kein deutscher Grübler, sondern eine rebellische, prometheische Figur, die Himmel und Hölle herausfordert. Er wird schnell ruppig und ebenso schnell traurig, ist ein dauererregter Gebieter, der Mephisto aus Ungeduld ohrfeigt und wie ein Entfesselter auf Gretchens Bruder Valentin (Johannes Quester) einsticht. Der Teufel muss kaum nachhelfen. Boris Pietsch erlangt in dieser Rolle eine magische Präsenz: ein schmaler Vampir mit knallrotem Schopf, ein spöttischer, spitzzüngiger Luftikus, der in Mick-Jagger-Manier auftanzt. Pietschs scharfkantige, überzeichnete Gestik und Mimik erinnert an die einer Marionette. Und auch dies hat seine Sinnfälligkeit: Goethe lernte den Faust-Stoff über ein Puppenspiel kennen. Saarbrücken hat einen neuen Schauspieler-Prinzen. Und wir sind mehr als zufrieden. Denn die Spots, die Schlingmann aufs Monumentalgemälde richtet, bringen ihm neuen Glanz. Mehr Kompliment ist kaum zu holen.
Gretchen (Natalie Hanslik) mit Lieschen (Melanie von Sass) und Chor nach dem Tod von Valentin (Johannes Quester)